Zweifellos waren die „Kriegs-Chronik“, die „Zugvogel-Nachrichten“ sowie das „Kriegs-Vereinsregister“ Zeugnisse von hohem dokumentarischen Wert über das Wirken und Werden unseres Vereins in der schlechtesten Zeit. Der Verlust dieser Dokumente ist heute, nach einer wechselvollen Geschichte um so höher einzuschätzen als damals. Denn in der Zeit der sogenannten „Stunde Null“ hatte Verein und alles, was mit dem Radsport und Vereinstätigkeit zusammenhing, nur eine sehr untergeordnete Bedeutung.
Damals, vor gut 65 Jahren, interessierten hauptsächlich drei Dinge: Ein Dach über dem Kopf, warme Kleidung und vor allem etwas zu essen. Es ist heute schon etwas schwierig, die Atmosphäre und Stimmung der Menschen aus jener Zeit zu beschreiben, denn die Zeilen würden doch nur fade wirken und eine Verständlichkeit gegenüber der jüngeren und jüngsten Generation wäre kaum gewährleistet.
Beim Durchblättern der damaligen Zeitungen z. B. stellt man bei der Suche nach Berichten von ersten Vereinstätigkeiten schnell fest, dass der Sport allgemein nur in ganz wenigen klein gedruckten Spalten erwähnt wurde (z.B. „Hannoversche Neueste Nachrichten“, „Neuer Hannoverscher Kurier“).
Die Hauptinformationen gab es natürlich über die Kriegsverbrecherprozesse und alles, was irgendwie damit zusammen hing. Dann stand die politische Lage im Vordergrund, und unter den amtlichen Mitteilungen las man u.a. den neuesten Wert der Lebensmittelkarten sowie die Gefallenenlisten, deren Schicksale sich erst nach Kriegsende klärten.
Die Sport-Nachrichten waren zum Teil so klein gedruckt und am äußersten Rand im hinteren Bereich der Zeitungen erschienen, so dass man beim Lesen schon seine Mühe hatte.
Eine der ersten Radsportnachrichten war der 3. Platz eines Schuhmachers aus Hannover bei „Rund um Köln“ Ende April 1946. Wenn man einmal Bilder vom zerstörten Köln gesehen hat, kann man sich vielleicht in etwa vorstellen, vor welcher gespenstischer Kulisse sich das abgespielt hat. Welcher Schuhmacher es war, ging aus der Meldung nicht hervor.
Aus Hannover war die erste Radsportnachricht nach dem Krieg die Vorankündigung einer Wanderfahrt nach Gehrden vom 10.05.1946.
Die beiden nächsten Nachrichten stammen vom 17.05.1946 bzw. 21.05.1946 über das Vierer-Mannschaftsrennen des RV Adler nach Bückeburg und zurück.
Die für uns heute interessantere ist natürlich die Meldung vom 21.05.1946. Sie stand auf der vorletzten Seite des „Neuen Hannoverschen Kurier“ ganz unten rechts, wieder extrem klein gedruckt und stellte die erste und wahrscheinlich auch einzige offizielle Mitteilung über die Wiedervereinigung der beiden Zugvogel-Vereine dar.
Erst im März 1946 wurde von der englischen Militärregierung die Genehmigung erteilt, wieder eine Vereintätigkeit auszuüben.
In einer von Karl Hebel und Gustav Windheim einberufenen Zusammenkunft wurde dann beschlossen, die vorgeschriebene Neugründung unter dem alten Vereinsnamen im Rahmen der militärgesetzlichen Voraussetzungen wieder vorzunehmen. Damit war die Grundlage für eine geregelte Vereinstätigkeit geschaffen.
Als 1. Vorsitzender des RV Zugvogel nahm Karl Hebel bereits im April 1946 Verbindung zu der „Vereinigung alter Zugvögel“ auf. In einer gemeinsamen Tagung am Freitag, dem 26. April 1946, wurde der Zusammenschluss einstimmig beschlossen. In der für den 03. Mai 1946 einberufenen Hauptversammlung wurde dann dieser neue Vorstand gewählt:
1. Vorsitzender | Karl Hebel | Jugendwart | Fritz Heike | |||
2. Vorsitzender | Konrad Grewe | 1. Schriftführer | Otto Heike | |||
Kassierer | Emil Lattemann | 2. Schriftführer | Robert Winkler | |||
Rennfahrer-Wart | Gustav Windheim | Wanderfahrer-Wart | Georg Jacobi |
Der neue, alte RV Zugvogel nahm seine Tätigkeit (wieder) auf und trat nicht weniger in den Jahren nach dem Zusammenschluss in Erscheinung. Es waren u.a. die Kameraden Heinz Ludewig, Waldi Knoke, Rudi Theissen, Helmut Ahrens, Nowakowski, K.H. Heinelt, Lier, Gremblewski, Hanns Brinkmann, Bernd Hardege und viele andere, die den Namen RV Zugvogel Hannover in ganz Deutschland bekannt machten, und dieses nicht zuletzt durch die Deutschen Meisterschaften, die durch die Zugvögel gewonnen wurden.
Kein Dach über dem Kopf, aber Radrennen vor der Tür. Am 11.05.1947 veranstaltete der RC Diamant das Rundstreckenrennen „Vor den Toren der Conti“. Sieger: Helmut Ahrens.
Die erste Rennveranstaltung des RV Zugvogel nach dem Krieg: Der „Große Industrie- und Handelspreis“ am 27.04.1947. Es war erst das zweite Rennen in Hannover und an Hand der Zuschauerzahlen entlang der Strecke konnte man sehen, wie groß das Interesse war. Sieger des Rennens wurde Holthöfer aus Bielefeld.